GRAFISCHE ARBEITEN

Lebens-Zeichnen

Von klein auf hatte ich wie mein Bruder, inspiriert durch unsere künstlerisch begabte Mutter (der früher das Studium am Dessauer Bauhaus vom bürgerlich denkenden Vater nicht erlaubt worden war), viel gezeichnet und gemalt und hatte mit einem Studium an der Berliner Hochschule für Bildende Künste geliebäugelt. Doch anders als meinen Bruder, der sich nach einigen Umwegen für diesen Weg entschied, reizten mich die Naturwissenschaften wegen der Perspektive mehr, die Funktionsweise der Welt zu verstehen und für menschlichen Fortschritt zu nutzen.

Berlin 1958 – 1960

Feder- und Tuschzeichnungen

Die aufgezeigte Spur beginnt mit meiner Studentenzeit in West-Berlin in den Jahren 1957 /1958 bis 1960. Ich hatte meine frühe Jugend mit den Kriegserlebnissen in der stark zerbombten Bauhausstadt Dessau, Jahren in der sowjetischen Besatzungszone und der so genannten DDR, mit Enteignung und Flucht, Pennälerjahren im bayerischen Starnberg und Abitur in West-Berl in hinter mir und hatte beschlossen, an der Freien Universität Berlin Chemie zu studieren.

Das eigentlich immer bedrohte West-Berlin war für meine Generation eine Insel der Freiheitsliebe, des Jazz, der künstlerischen Auseinandersetzung und des libertären Lebens. Die „Eierschale“ war einer der Treffpunkte von Jazz-Fans, an der Hochschu le für Bildende Kunst fand das mehrtägige Faschingsfest „Schräger Zinnober“ statt, in der„ Vollen Pulle“ und der ,,Paris Bar“ trafen sich die Künstler und Intellektuellen der Stadt. Man ging auch nach Ost-Berlin ins Theater am Schiffbauerdamm, um Brecht-Inszenierungen zu sehen.

 

Spanische Impressionen 1959

In den Semesterferien reiste ich mit Freunden an die damals
noch wenig touristische spanische Costa Blanca und nach Paris,
immer zeichnend, malend und entdeckend.

Kassel 1959

Feder- und Tuschzeichnungen

Die documenta II erlebte ich in Kassel, aber dort wurde ich auch, auf meine Art, von der Atmosphäre des Schlossparks Wilhelmshöhe und einer Messe für Ziervögel inspiriert, an denen die documenta-Besucher meistens vorbei gingen.

Rochester, New York 1960 – 1961

Trotz meines Chemie-Studiums gehörte ich zur Berliner Szene, verbrachte Zeit mit Künstlern der Hochschule für Bildende Künste, schrieb Kurzgeschichten für Berliner Tageszeitungen und stellte aus.
1960 bewegten mich jedoch meine naturwissenschaftlichen Interessen dazu, als Fulbright-Student in die USA zu gehen. An der University of Rochester im Staat New York verdiente ich meinen Lebensunterhalt als Assistent des Professors für
Physikalische Chemie, aber auch durch Verkäufe meiner grafischen Blätter, von denen ich heute leider nur noch Zeitungsfotos und einige wenige Exemplare besitze.

Hvar 1963 Bleistift-, Feder- und Tuschzeichnungen

Doch mir fehlten die Berliner Kultur und meine engen menschlichen Beziehungen in Berlin, und so kehrte ich zurück, um am Hahn-Meitner-lnstitut meine Diplomarbeit auf dem Gebiet der Strahlenchemie anzufertigen. In diese Zeit fiel meine Reise auf die Insel Hvar im damaligen Jugoslawien, heute Kroatien. Es wurde eine meiner glücklichsten Zeiten auf dieser damals nur von wenigen Kennern entdeckten Marmorinsel, zusammen mit einer Schauspielschülerin, die viel Sinn für mein ständiges Zeichnen hatte, mit dem ich unseren Glückszustand festhalten wollte. Aber der dauerte dann nicht m h lange, weil unsere Wege zu sehr auseinander liefen.

Paris 1964–1968

Meine Forschungsergebnisse am Hahn-Meitner-lnstitut, die mir revolutionäre Möglichkeiten der chemischen Synthese zu erschließen versprachen, faszinierten mich so sehr, dass ich auf dem Gebiet der Strahlenchemie da promovieren wollte, wo die chemische Wirkung radioaktiver Strahlen entdeckt worden war: an der Sorbonne in Paris. So wurde ich Doktorand bei den Nachfolgern von Marie und Pierre Curie, den Professoren Michel Magat und Adolphe Chapiro, am Centre National de Ja Recherche Scientifique.

Ich wohnte in dem kleinen Künstlerort Marly-le-Roi am Rande von Paris, mein Institut lag in Meudon oberhalb der Seine. Mein Arbeitsgebiet war die Polymerisation im kristallinen Zustand bei -196° C mit Hilfe von Gamma-Strahlen, und das Ergebnis waren iso- und syndiotaktische Polymere für semipermeable Membranen.

Vier Jahre lang forschte und schrieb ich, bis die Promotion hinter mir lag. Doch ich arbeitete nicht nur an meiner Doktorarbeit, sondern auch an zwei Romanen (,, Erdwürmer“, ,, Grillen“), in denen ich meinen Zwiespalt zwischen dem Dasein eines Naturwissenschaftlers und dem eines Künstlers thematisierte. 

Scribbles in den Manuskripten von „Erdwürmern“ und „Grillen“

 

Kinderportraits