Auszug aus der Novelle „Grillen“

 

Du siehst Sander noch den Überdruss an, von dem er dich nicht wissen lassen will, er bleibt am Fenster stehen, vor den Gipsplastiken, den Bildern, die an der Wand lehnen, die Keilrahmen nach außen, ist unschlüssig, fühlt sich mit seiner Wohnung dir ausgesetzt.

Er redet mit kaum geöffneten Lippen, tut sich wichtig mit dem Formulieren, bauscht das Wörtersuchen auf mit halb geschlossenen Augen, als nehme, was er sagen will, in diffuser Umgebung erst Form an. Du wirst ungeduldig dabei, willst ihn festlegen auf den gedanklichen Einsatz, der hinter seinen Bildern steht, auf den Grad von Bewusstheit. Er findet deine Fragen überflüssig, wirft dir vor, zu glauben, dass du bloßlegen könntest, wie er funktioniert.

An manchen Tagen befinde er sich in einem Zustand von Unruhe, in einer Erregtheit, in der ihm die Möglichkeiten, die er habe, unerträglich mittelmäßig vorkämen, dass er in seinem Atelier bliebe, zermürbt von dem Druck, der ihn verrückt zu machen drohe. In diesem Zustand male er, nicht mit einer bestimmten Absicht, hilflos eigentlich, er bewege sich innerlich viel zu schnell, als dass er an irgendetwas arbeiten könne, es entstünden aber doch Bilder dabei, zufällige Spuren seines Zustandes, die Bilder seien im Grunde ohne Verhältnis zu ihm, meistens vergesse er auch, was im Einzelnen in ihm vorgegangen sei, als er sie erzeugte.

Manchmal habe er dann aber das Gefühl, ganz deutlich, nur durch Unausgesprochenheit noch nicht in Reichweite, ein Bild zu sehen, das er verwirklichen wolle, um die innere Deutlichkeit zu fixieren, als liege in seiner Vorstellung schon alles fest – eine Sicherheit, die ihn gleichgültig mache gegen die Zeit, gegen seine Arbeit, nicht allein, weil die Verwirklichung nur noch eine Frage des Hinmalens sei, sondern weil, ohne dass er sich zu erklären versuche warum, die Ungewissheit der letzten Tage endgültig überwunden scheine. Er beeile sich nicht, koste aus, es immer später werden zu sehen, belanglose Gespräche zu führen, dieses Vorstadium so lange wie möglich hinzuhalten. Schließlich finde er sich aber doch in seiner Wohnung wieder, merke, schon während er an den ersten Teilen des Bildes arbeite, wie eine schleichende Enttäuschung von ihm Besitz ergriffe. Die Farben seien, trotz aller Sorgfalt, zu stumpf oder zu krass, als gebe es die Farbtöne nicht, die ihm vorschwebten, als sei es gar nicht möglich, das Bild zu malen. Es entstehe eine Halbheit, mit der er sich unwiderruflich entferne von der Lösung, die er schon gefunden zu haben glaubte, zu sehen, was stattdessen fremd und ungewollt vor ihm entstehe, lasse das innere Bild allmählich verblassen. Von da an müsse er sich, wenn er weitermalen wolle, umstellen, müsse misstrauisch werden, müsse die Ausdauer haben zu einer mühsamen bewussten Konstruktion, durch die das Bild, wider sein Erwarten, doch noch fertig werde.

Danach gerate er immer wieder in unabsehbar lange Hohlräume, Tage und Wochen, in denen er nichts verspüre, keine Ungeduld, kein Bedürfnis sich auszudrücken. Es komme ihm unvorstellbar und überheblich vor, Bedeutungsvolles von sich geben zu wollen in einer Sprache, die andere analysieren auf der Suche nach wichtigen Hinweisen. Aber diese Gedanken mache er sich nur andeutungsweise, entscheidender sei, dass er, zum Beispiel, die Aluminiumtuben in der Hand halte und sich gar nicht bewusst werde, wozu sie dienten, dass er nichts vermisse und nichts erwarte.

Du sollst merken, dass du zu andersgeartet bist, um ihn zu verstehen, dass du keinen Zugang zu der Empfindlichkeit, der schicksalhaften Intensität hast, die er für sich in Anspruch nimmt, dass du unanfällig, in kleinmütiger Vernünftigkeit dahinlebst, ein Dasein, zu dem du keine andere Beziehung haben kannst als die Zwangsvorstellung, eine nützliche Tätigkeit ausüben zu müssen. Dein Versuch, ehrlicher zu sein als er, bringt ihn auf, deine dürre Ehrlichkeit, mit der du seine Bilder in Frage stellst, die sich, wenn er sie dir entschlüsseln soll, in Banalität aufzulösen drohen, dass er dir die Fähigkeit abspricht, dich mit ihm zu verständigen. Du bestehst darauf, dass Symbole die Darstellung nur von etwas sein können, das sich auch ohne sie mitteilen lässt, bist aggressiv, weil du, mit dir selbst unzufrieden, nicht die Selbstgefälligkeit dulden willst, die er zur Schau stellt, hast dir angewöhnt, ihm vorzuhalten, dass die Veränderungen, die in sein Leben eingreifen, von der Seite ausgehen, auf der du stehst und deren Sprache du sprichst. Diese Sprache gerade, findet Sander, versperre dir das Verständnis für alles, was sich nicht erklären, nicht bezeichnen lässt, du verstehest nicht, zerredetest nur bis zur Unkenntlichkeit. Dein Leben werde im gleichen Maß, in dem du es seiner Unerklärlichkeit entledigen wollest, inhaltsloser.

Sanders Vorwürfe sind wie Fratzen, die dich angrinsen, vor denen du dich nach hinten fallen lassen möchtest in eine große Leere.

Ihr sitzt als dunkle Umrisse voreinander, in der Stille bildest du dir ein, das Abklingen des letzten fahlblauen Lichtscheins zu hören. Du müsstest aufstehen und gehen, musterst die Strecke zwischen dir und der Tür, den handgewebten Teppich, über den du laufen wirst, den in Dunkel gehüllten Raum, die große öligbraune Tür, merkst, dass du auf absonderliche Art Gefallen daran findest, von Sander missverstanden zu werden, die sentimentale Vorstellung sich hinziehen zu lassen, dass du einsam bist.